Argentinien 1

 

Provinz Misiones

 

Vom 27. August bis 07. September 2014

 

Fortsetzung von Bericht Brasilien 4

 

Die Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.

 

Die Einreise nach Argentinien verläuft problemlos. Wir bekommen den Einreisestempel mit einer Genehmigung für 90 Tage. Der Beamte für die Einfuhrgenehmigung des RMB Wohnmobils und des Piaggio-Motorrollers braucht etwas länger, weil der Computer nicht funktioniert. Schließlich stellt er das Dokument nach einer knappen Stunde manuell aus. Direkt 20 m hinter dem Zollgebäude stehen in Dionsio Cerqueira etwa 10 Männer in Reihe und Glied an der Straße und wollen offensichtlich den einreisenden Brasilianern Pesos zum um 50 % günstigeren Schwarzmarkt-Kurs anbieten. Auf der Weiterfahrt auch hier Straßenschwellen, die hier Lomo de Burros (Eselsrücken) heißen und auch nicht immer angekündigt sind.

 

Die Ruta 17 nach Pozo Azul durch eine bewaldete Hügellandschaft in bis zu 600 m Höhe ist miserabel mit einigen Schlaglöchern. Wir sehen wenige Steinhäuser aber viele Holzhäuser, teilweise sehr alt und verkommen, andere blau gestrichen. Auch hier grüßen uns Fußgänger und Autofahrer freundlich. Gegen 18 Uhr erreichen wir Pozo Azul und stellen uns auf einen Platz vor dem Gebäude der Polizei unter eine beleuchtete Laterne. Dort verbringen wir eine ruhige und angenehm kühle Nacht. Auf der Ruta 14 durch ursprünglichen Wald Richtung San Pedro sehen viele ärmliche Holzhütten, die uns an Mexiko vor 27 Jahren erinnern. Hier wohnen auch viele indianische Ureinwohner des Stammes der Guaraní unter einfachsten Bedingungen. Auf der fruchtbaren roten Erde wachsen die sehenswerten Araukarien, die aber zum Teil Anpflanzungen von Eukalyptusbäumen und Fichten Platz machen mussten. In San Pedro ist mit LKW und Landwirtschaftsfahrzeugen eine Blockade errichtet und es brennen Autoreifen. Heute ist ein von den starken Gewerkschaften initiierter landesweiter Protest gegen die Inflation und die hohen Preise ohne eine entsprechende Erhöhung der Löhne.

 

El Soberbio liegt in 150 m Höhe am Rio Uruguay, dem Grenzfluss zwischen Argentinien und Brasilien. Herrliche Tage verbringen wir auf dem „Camping Jorge“. Der Besitzer Juan Carlos begrüßt mich freundlich und seine Frau wäscht sogar unsere Wäsche. Ich gehe auf den 200 m entfernten Bolzplatz neben den ärmlichen Hütten, wo die Kinder mit einem alten Ball Fußball spielen. Ich verschenke einen guten Lederball, Trikots, Freizeitanzug und Rucksack, was wir schon seit vier Monaten mit uns herumfahren. Bei klarem Sternenhimmel haben wir wieder eine angenehm kühle Nacht mit 10° Grad. Welcher Unterschied zu den schwülen Temperaturen an der Küste. Wir treffen Maxi, der 2004 das erste Mal im Rahmen eines freien sozialen Jahrs in Argentinien war, 2011 nach Argentinien ausgewandert ist und hier geheiratet hat. Maxi gibt uns viele nützliche Tipps für Argentinien.

 

An einem Tag fahren wir mit unserem Motorroller ganz allein auf der super geteerten Ruta 2 Richtung Norden durch immer einsamere Landschaft schließlich durch den Urwald der Provinz Misiones. Wir halten an einigen höher gelegenen Aussichtspunkten und blicken bei absoluter Stille hinunter auf den dichten, ruhigen Urwald bis hinunter zum Rio Uruguay und auf die andere Seite nach Brasilien. Es ist beeindruckend, in dieser Stille hier oben zu stehen und diese Urlandschaft zu beiden Seiten zu sehen. Wir fragen uns, ob hier heute überhaupt noch jemand auf der Straße unterwegs ist. Weiter tuckeln wir durch die herrliche Landschaft, bergab über einen kleinen Fluss und immer wieder steil bergauf. Nach einer letzten Steigung erreichen wir nach 65 km den Provincialpark Moconá. Am Ufer des Rio Uruguay treffen wir auch die beiden jungen Motorradfahrer Nico und Paula aus Buenos Aires. Die beiden träumen davon, einmal auf der Panamericana bis nach Alaska hoch zu fahren. Eine gute halbe Stunde später sitzen wir in einem von kräftigen Motoren angetriebenen Boot für neun Personen. Mit hohem Tempo jagt der Pilot über die Stromschnellen des breiten Rio Uruguay. Links rauschen in einer Höhe von ca. 4 m die mit bis zu 3 km längsten Längswasserfälle der Welt über die Basaltkante. Wegen des hohen Wasserstandes wird aber nicht diese Länge und die bis zu zwölf Meter Höhe erreicht. Trotzdem ist es eindrucksvoll, zu sehen, welche Wassermassen hier herunterstürzen, besonders wenn der Bootsführer nahe dort heran fährt. Vom Besucherzentrum aus machen wir noch eine knapp 2 km lange Wanderung durch den Urwald und zu einem Aussichtspunkt, von dem wir nochmals einen Blick zu den weit entfernten Wasserfällen haben. Eine schöne Gelegenheit, auf einem Pfad mitten durch diesen artenreichen Wald zu gehen, mit seinen verschiedenen Baumarten, Sträuchern und Pflanzen, die sich manchmal vollständig um die Bäume gen Himmel schlingen. In den nächsten Tagen machen uns Sturm und Dauerregen den Abschied von El Soberbio leicht.

 

Bei der Fahrt auf der Ruta 2 entlang des breiten Rio Uruguay nach Süden vorbei an Holzhütten und Ochsenkarren fühlen wir uns wie in Rumänien vor 35 Jahren. Im Parque de Naciones von Oberá herrscht ein geschäftiges Treiben, denn heute ist die Eröffnung der Fiesta National del Inmigrante, des Nationalfestes der Einwanderer. Alle sind damit beschäftigt, die Stände aufzubauen bzw. in den Casas de Naciones alles herzurichten. Im typischen Stil ihrer Länder präsentieren sich sehr aufwändig die Schweiz, Polen, Russland, Japan, Deutschland, Ukraine, Italien. Spanien, Portugal, Arabien, Skandinavien, Paraguay, Argentinien und etliche andere Länder. Abends begegnen uns dort immer wieder traditionell gekleidete Menschen der verschiedenen Einwanderer-Länder Argentiniens. Als wir in die gut gefüllte Veranstaltungshalle gehen, finden gerade noch Ansprachen statt, bevor die argentinische Nationalhymne gespielt wird. Auf der riesigen Bühne stehen die im Stil ihrer Heimat gekleideten Menschen der verschiedenen Einwanderer Argentiniens und im Hintergrund werden die Nationalflagge und verschiedene Bilder projiziert. Draußen gießt es in Strömen, als die verschiedenen Nationen sich durch Tänze ihrer Länder präsentieren. Es ist wirklich ein für uns unerwartetes farbenprächtiges Spektakel, das dort auf der Bühne von den Nationen geboten wird, darunter auch die Tanzgruppe EDELWEISS aus Entre Rio. Untermalt wird alles professionell mit abgestimmter klangvoller Musik aus riesigen Lautsprechern auf beiden Seiten der Bühne und Bildern der verschiedenen Länder im Hintergrund. Zeitweise befinden sich über 200 Personen aller Länder auf der Bühne und die Choreografie passt perfekt. Wir fühlen uns fast auf einer Welt-Präsentation. Zwischendurch spielt eine Militärkapelle flotte moderne Musik und der Sänger liefert dazu eine tolle Show ab. Dann zum Abschluss das große Finale in der vollständig gefüllten Halle.

 

Weiter im Norden besichtigen wir die ehemalige Reducción San Ignacio Mini, Weltkulturerbe und eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Argentiniens. Die Jesuiten hatten schon im 17. Jahrhundert in der gesamten Region des heutigen Nordost-Argentinien, Ost-Paraguay und West-Brasilien eine ganze Anzahl solcher Reducciónes errichtet, um die eingeborenen Guaraní zu missionieren. Sie lebten mit bis zu 4.000 Guarani friedlich zusammen und brachten ihnen auch handwerkliche Fähigkeiten bei. Die herrschenden Spanier befürchteten, dass die Jesuiten einen eigenen Staat errichten wollten und vertrieben sie. Sämtliche Reducciónes wurden fast vollständig zerstört und in den folgenden Jahrhunderten vom Urwald überwuchert. San Ignacio Mini wurde im 20. Jahrhundert am besten von den Überwucherungen befreit. Wir sind fast allein auf dem großen Gelände der ehemaligen Missionsstation unterwegs. Die Grundmauern der weitgehend zerstörten Anlage und deren Anordnung können wir noch erkennen und an wichtigen Punkten wird per Tonbandaufzeichnung auch in Deutsch näheres über die Funktion der Gebäude erklärt. Am besten erhalten ist der 1724 fertiggestellte ebenfalls größtenteils zerstörte Kirchenbau mit seinem beeindruckenden Portal. Ringsherum funktionierte die Mission wie eine kleine Stadt mit einem perfekten Ver- und Entsorgungssystem, was man noch heute an den Kanälen und Brunnenanlagen erkennen kann. Wir übernachten dann an einem beleuchteten Platz und werden nachts um drei Uhr durch einen lauten Schlag gegen die Scheibe unseres Wohnmobils gestört. Ich sehen einen Mann mit Kapuze und zwei weitere Männer. Wir suchen uns einen anderen Platz nahe der Polizeistation.

 

Ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe ist die ehemalige Missionsstation Nossa Senhora de Loreto. Der Führer Marcelo begleitet uns als einzige Besucher 1 ½ Stunden lang durch diese Anlage, die noch fast vollständig vom Urwald bedeckt ist. Es liegt eine geheimnisvolle Stille über den Ruinen und dem dichten tropischen Urwald. Marcelo erklärt und viel auf Englisch über die Natur und die Mission. Wurzeln der Bäume haben mächtige Mauern gesprengt und armdicke Schlingpflanzen die Reste bedeckt, von denen nur ein geringer Teil freigelegt wurde. Durch diese Macht der Natur war Loreto für uns noch beeindruckender als San Ignacio Mini. Jede Woche wird der freigelegte Teil der Anlage gemäht, weil der Urwald schnell wieder alles bedecken würde. Schlangen gibt es natürlich auch in dieser wilden Vegetation und auch in den gemähten Bereichen, so dass wir uns langsam fortbewegen sollen.

 

Als es kräftig zu regnen beginnt, sind wir auf der Ruta 12 unterwegs Richtung Norden. Eigentlich wollten wir uns das Geburtshaus von Che Guevara ansehen, aber der Abstecher auf aufgeweichter, schlammiger Erdstraße ist zurzeit nicht befahrbar. Als wir vor der Tourist-Information in Montecarlo halten, werden wir vom Taxifahrer Martin auch gleich auf Deutsch angesprochen. Montecarlo wurde in den 1920er Jahren von Deutschen gegründet. In den folgenden Jahren waren 80 % der Bevölkerung Deutsche, so dass im Ort nur Deutsch gesprochen wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Deutsch verboten, aber in den Familien wurde und wird ein einigen Fällen auch heute noch Deutsch gesprochen. Wir fahren durch den Ort und erreichen den Club de Pesca am Rio Paraná. Dort hat sich der Angelclub ein großes Clubhaus mit Restaurant im Obergeschoss und einen Campingplatz errichtet. Der Campingplatz ist zwar geschlossen, aber wir dürfen auf dem Parkplatz vor dem Clubhaus in unserem RMB-Wohnmobil kostenlos übernachten. Da Sturm aufkommt, stellen wir unseren Camper unter die riesigen 15 m hohen Bambusstauden, denn auf der anderen Seite ist schon ein Ast auf einem Autodach gelandet. Dann essen wir im Restaurant ausgezeichnet Fisch. Morgens taucht eine Militärpatroulie auf dem Parkplatz auf und verschwindet nach kurzer Zeit wieder. Dass heute noch viel Rauschgift von Paraguay nach Argentinien über den Fluss geschmuggelt wird, ist bekannt.

 

In Montecarlo sehen wir uns die Orchideenzucht Loma Alta an. Der Besitzer zeigt uns die üppige Vegetation im Garten, die kleinen und zurzeit leider nicht blühenden Orchideen und das kleine Museum des früheren Besitzers und Künstlers Juan Carlos Martinez Alva. Wir sind in der „Region de las Flores“. Das schwülwarme Klima ist ideal für das Gedeihen von Orchideen, so dass es hier etliche Orchideenzüchter gibt. Montecarlo ist ein gepflegter Ort, die Straßen sind sauber und man merkt noch den Ursprung deutscher Gründlichkeit. Gerade wollen wir weiterfahren, da werden wir am Camper von Hans Plocher angesprochen. Er zeigt uns die ehemalige deutsche Schule, zu der er und seine Geschwister früher immer vom heimatlichen Bauernhof geritten sind. Seine Eltern sind in den 1920er Jahren aus Schwaben ausgewandert. Hans erklärt uns im besten Deutsch ganz stolz, wie sie den Plaza de Alemania angelegt haben. Ein gepflegter Platz mit blau-weißem Maibaum, verschiedenartigen Bäumen, Blumen, Rasenflächen und Bänken und einem Gedenkstein, der leider von Deutsch-Hassern (wieder einmal) zerkratzt wurde. Dann fragt er uns, ob wir mit zum Brasilien-Platz kommen wollen, wo eine kleine Feierstunde zum heutigen Nationalfeiertag Brasiliens stattfindet. Wir folgen ihm zu seinem gepflegten Einfamilienhaus, wo in der Straße fast alle Häuser noch von Deutschstämmigen bewohnt werden. Der Nachbar von Hans spricht auch bestes Deutsch und ist erstaunt, dass wir die letzte Nacht auf dem Gelände des Angelclubs am Rio Paraná, den Grenzfluss zu Paraguay verbracht haben. Es habe dort früher auch geangelt, aber nachdem von der paraguayischen Seite die Patronen durch die Bäume auf argentinischer Seite pfiffen, habe er das Angeln aufgegeben.

 

Hans holt sein Fahnensortiment aus dem Haus und dann gehen wir zum nahegelegenen Brasilien-Park, wo bereits Stühle vor dem Denkmal aufgestellt sind. Er fragt, ob Martina bereit sei, beim Festakt die deutsche Fahne zu halten. Also beginnt der Festakt mit der argentinischen und der brasilianischen Nationalhymne und Tina steht einträchtig mit den Vertretern der anderen Einwandererstaaten in einer Reihe. Bei der Ansprache wird sie sogar namentlich begrüßt und die inzwischen etwa hundert Besucher klatschen. Von Hans Plocher werden wir noch Willi Becker und mehreren anderen deutschstämmigen vorgestellt. Manche leben schon in vierter Generation hier, sind Mitte Zwanzig und sprechen noch ausgezeichnet Deutsch. Walter Plocher ist der Bruder von Hans und betreibt hier ein kleines Museum neben seinem Wohnhaus. Er meint, wir könnten in seiner ruhigen Seitenstraße in unserem Camper übernachten. Wir fahren langsam durch kleine Seitenstraßen wo uns aus der Dunkelheit nachgerufen wird „Geht’s gut?“. Walter erzählt uns gern und viel über die Einwanderung der Deutschen nach Montecarlo. Wie die Eltern in den 1920er Jahren erstmal den Urwald gerodet haben, Holz verkauft haben, glücklos Orangen angebaut haben und sich schließlich mit den Anbau von Yerba-Bäumen für den Mate-Tee einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben. In der Nacht schlagen irgendwelche Halbstarken mehrfach laut gegen die Scheiben unseres Campers. An die Wand des kleinen Museums haben irgendwelche Leute ein Hakenkreuz gemalt. Wir sehen uns noch eine Stunde lang in diesem kleinen, mit vielen Utensilien und Fotos vollgestopften interessanten Museum um, Walter Plochers Lebenswerk über die Besiedelung Montecarlos. Wir fahren ins Zentrum zur Molino de Yerba Mate Cooperativa Agricola, wo wir eine kurze individuelle Führung durch die Fabrik mit, wo die in Säcken abgepackten Mate-Blätter zerkleinert und in verschiedenen Sorten maschinell verpackt werden. Sie werden auch nach Chile und China exportiert, ein Riesen-Markt der Zukunft. Herr Franke berichtet, die Kriminalität sei auch in Montecarlo in letzter Zeit gestiegen. Mehrfach habe man versucht, in seinem Haus einzubrechen. In das Haus seiner Tante sei eingebrochen worden. Als sie nach Hause kam, waren die Einbrecher noch da, ein Mädchen habe drei Schüsse auf sie abgegeben. Die Einbrecher wollten wohl nicht nur stehlen, sondern hätten extra noch auf sie gewartet. Über das nahe Paraguay könne jeder zu einem niedrigen Preis eine Waffe jeder Größe problemlos bekommen. Viele Leute hätten hier eine Waffe und das Gewaltpotential sei hoch.

 

Auf der Ruta 12 fahren wir dann weiter schnurgeradeaus Richtung Puerto Iguazu. Bei einer Polizeikontrolle fragt der Polizist auf Deutsch „Wie geht’s?“ und wohin wir wollen, weiter nichts. In Puerto Iguacu finden wir keinen vernünftigen Campingplatz mit Busanschluss, so dass wir uns entschließen, nach Foz do Iguacu/Brasilien zu fahren.

 

Fortsetzung siehe unter Brasilien 5

(einschl. Fotos von den Iguacú-Wasserfällen der argentinischen und brasilianischen Seite)