Chile 6

Region Magellanes

 

Vom 18. April bis zum 1. Mai 2016

 

Fortsetzung von Bericht Argentinien 9

 

Die entsprechenden Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.

 

Ursprünglich hatten wir geplant, im Sommermonat Januar die Insel Feuerland zu bereisen. Bedingt durch den dreimonatigen Ausfall unseres Fahrzeugs (siehe Berichte Peru 2 und Bolivien 9) ist es uns jetzt jahreszeitbedingt zu spät. Wir wollen uns daher auf die landschaftlich interessanteren Gebiete der Nationalparks Torres del Paine und Los Glaciares konzentrieren.

 

Bei Puerto Munición erreichen wir den Estrecho de Magellanes, eine riesige Meeresbucht des Atlantischen Ozeans. Vom Atlantik kommend ist der Portugiese Fernando de Magellanes 1519 im Auftrag des spanischen Königreichs hier durchgesegelt und hat die lange gesuchte Ost-West-Passage zum Pazifischen Ozean gefunden. Es ist die Meerenge, die das Festland von der Insel Feuerland trennt. Die Durchfahrt wurde nach ihm die Magellan-Straße genannt. Wir folgen weiter dem bis zu 30 km breiten Meeresarm und passieren die verlassene Estancia San Gregorio. Die verfallenen Gebäude mit den eingeschlagenen Fensterscheiben und maroden Räumen erinnern an einen Geisterort. Passend dazu rostet am Ufer das im Jahre 1935 hier gestrandete und teilweise auseinander gebrochene Schiff Amadeo vor sich hin. Diese Meerenge war jahrhundertelang der Alptraum aller Seefahrer.

 

Auf der Ruta Fin del Mundo (der Straße zum Ende der Welt, so die Chilenen) fahren wir weiter Richtung Westen, vorbei an weiteren gestrandeten Schiffswracks. Bei einigen kleineren Werften werden Fischerboote gebaut und repariert. Direkt am Ufer der Magellan-Straße stehen aufgereiht viele Blechhäuser. Es ist eine ärmliche Gegend. Wieder einmal fragen wir uns, ob hier jemand wohnt. Große Schilder am Straßenrand weisen darauf hin, dass die gesamte Gegend als Zona de Marea Roja bezeichnet wird. Es ist eine Epidemie giftiger Microalgen im Pazifik, die sich in Muscheln anreichern. Das Verzehren dieser Muscheln kann für Menschen tödliche Folgen haben. Somit hat die Marea Roja für die Muschelsammler existenzbedrohende Folgen, denn ihre Haupteinkunftsquelle fällt seit Jahren weg. Hier an der Magellan-Straße überraschen uns beidseitig der Straße Schneewehen von den Niederschlägen der vergangenen Herbsttage.

 

Später endet die Teerstraße Ch 9 an einem großen geographischen Meilenstein. Er zeigt das Territorium Chiles von Arica bis, ja, bis zum Mittelpunkt der Antarktis, wo Chile Gebietsansprüche stellt. Demnach ist hier an diesem Monument die Mitte Chiles. Die rekonstruierte Festung Fuerte Bulnes aus dem Jahre 1843 ist in Privatbesitz. Den unglaublichen Eintrittspreis von 20 Euro pro Person sparen wir uns. Bei San Juan sind wir fast am südlichsten Punkt des amerikanischen Festlandes angekommen. Von unserem Übernachtungsplatz an der Magellan-Straße blicken wir hinüber nach Feuerland und zur Insel Darwin, die unter Diktator Pinochet als Gefängnisinsel diente.

 

Vor der Regionshauptstadt Punta Arenas liegt das Kreuzfahrtschiff Stella Australis vor Anker. Wir spazieren durch die Stadt, wo in der Nähe der Plaza de Armas sehenswerte alte Gebäude aus der goldenen Zeit der Schafsbarone stehen. Wir besuchen das Museum Naval y Maritimo mit einer Ausstellung zur Seefahrtgeschichte Chiles. Auf dem Friedhof, der zum Nationaldenkmal erklärt wurde, stehen einige fast haushohe Mausoleen für José Menéndez und anderer früherer reicher Schafszuchtfamilien. Aber auch die Gruften anderer Familien, darunter vieler kroatischer, sind außergewöhnlich. Prächtige Denkmäler erinnern an Militär, Feuerwehr, Marine und Carabinieros. Das Denkmal für den unbekannten Indianerjungen ist Blumen Geschenken geschmückt und gilt als Pilgerstätte. Eine gemeinsame Grabstelle befindet sich unter dem Kreuz der Deutschen Krankenkasse.

Im Museo Salesiano Maggiorino Borgatello besuchen wir die Ausstellung über Flora, Fauna, Missionen, Geschichte und Wirtschaft der Region Magellanes.

 

Auf dem Weg nach Norden fahren wir vorbei an riesigen Estancias mit unzähligen Schafen, Rindern und wilden Guanakos. Ein Gaucho mit wettergegerbtem Gesicht kommt uns entgegen geritten, von sieben Hunden begleitet. Das ist Patagonien pur. Wir kommen in hügeligere Gebiete mit Seen und Wäldern. Am Hafen von Puerto Natales haben wir beim Abendessen vom Wohnmobil aus einen herrlichen Blick auf den riesigen Fjord Seno Ultima Esperanza und die Kette der Anden.

 

Über eine Schotterpiste durch einsame Tallandschaft erreichen wir den Parque Nacional Torres del Paine. Es ist Nachsaison und so brauchen wir nicht die Eintrittsgebühr von umgerechnet 30 € pro Person bezahlen. Im Jahr kommen inzwischen 140.000 Touristen in diesen Nationalpark, vor allem im Sommer. Dann geht ohne vorheriger Reservierung in den Hotels, Refugios und auf den Campingplätzen gar nichts. Vom Guardian erhalten wir zudem die Auskunft, dass das Wetter in den nächsten fünf Tagen schön sein soll. Das gibt’s hier auch nicht oft. Schließlich erreichen wir den fast leeren Campingplatz Pehoé, der sich oberhalb des gleichnamigen Sees befindet. Der Parque Nacional Torres del Paine ist von der UNESCO als Welt-Biosphärenreservat anerkannt worden. Hinter dem Lago Pehoé ragen die ungewöhnlichen 2500 m hohen Felsformationen Los Cuernos (Hörner) aus der nur hundert Meter hohen Ebene heraus. Links davon der Paine Grande (3050 m) mit seinen ausgedehnten Gletschern und rechts die Spitzen der markanten steilen Türme der Torres. Diese Berge bestehen aus Vulkanschichten, Granit und Kalkstein. Im Laufe von Millionen von Jahren darüber liegende Eismassen gruben sich in das Gestein, schliffen den Fels und sprengten ihn auf. Da die Gipfelregionen der Cuernos vom Eis nicht berührt wurden, sind sie dunkler gefärbt als die Felsen darunter. Die wilden Zacken wurden durch Gletscher ausgeschliffen. Nach langer Zeit sitzen wir abends mal wieder am kleinen Lagerfeuer. Gut, dass wir auf dem Dach immer etwas Feuerholz dabei haben. Wir unterhalten uns über das bisher Erlebte. Warm bekleidet genieße ich die absolut klare, eiskalte Vollmondnacht, in der kein Lüftchen weht. Eine absolute Stille liegt über dem See und über dem Massiv der Torres del Paine. Der Mond hat so viel Leuchtkraft, dass er die ganze phantastische Szenerie in ein unwirkliches Licht taucht. Weiß leuchten die Gletscher um den Cerro Paine Grande und hell die Felsen der Cuernos und der Torres. Die Sterne glitzern um die Wette und ein paar Lichter der Hosteria Pehoé schimmern am See.

 

Mit dem Piaggio-Motorroller fahre ich in der morgendlichen Kälte auf der Piste am See entlang nach Zona Pedeto, wo gegen Mittag der Katamaran mit etwa 80 Wanderern vom Bootssteg ablegt. Vom Refugio y Camping Paine Grande aus kann man in zehn Tagen über hundert Kilometer um das Bergmassiv herum wandern. Ich entscheide mich für einen großen Teil des sogenannten „W“, bei dem man in fünf Tagen knapp siebzig Kilometer auf drei verschiedenen Wegen durch die Täler in die Bergwelt wandert. Bei herrlichem Wetter genieße ich die Rast bei der malerischen Laguna de los Patos, die von rostrot gefärbten Bäumen umgeben ist. Dann führt der gut markierte Weg hügelauf und hügelab durch die Felslandschaft. Hinter dem Lago Grey sind die Ausläufer des südlichen Patagonischen Eisfeldes Campo de Hielo Sur zu erkennen, das sich über mehrere Hundert Kilometer Länge ausdehnt. Vom Glacier Grey abgebrochene Eisberge schwimmen im See. Rechts des Weges rauschen von den nahen Bergen Wasserfälle.

 

Nach einer kalten Nacht im ungeheizten Refugio Grey wandere ich am nächsten Morgen bei Nebel und Wolken zurück. Doch dann reißt immer wieder mal die Wolkendecke auf. Andere Wolkenfelder liegen noch über dem See und darüber glitzert der fünf Kilometer breite Grey Gletscher, der sich bis in über zweitausend Meter Höhe zum südlichen patagonischen Eisfeld hinauf erstreckt. Immer wieder wechseln die Wolkenformationen und erzeugen manchmal ein gespenstisches, dann wieder malerisches Landschaftsbild. Nach der Übernachtung im Refugio Paine Grande starte ich als erster Wanderer in der Dunkelheit Richtung Valle del Francés. Einige Hasen hoppeln in sicherer Entfernung quer über den Pfad. Als es dämmert, habe ich das Glück, auf einer Anhöhe einen Puma zu sehen. Zunächst steht er noch unbeweglich, blickt dann aber in das andere Tal und verschwindet schließlich langsam. Der zum Teil dick vereiste, rutschige Pfad führt nun oberhalb des Lago Sköttsberg durch abgestorbene Wälder, auf Holzstegen durch Sumpfgebiete. Ab dem Campamento Italia führt der Weg steil über Felsen ständig im Valle del Francés bergauf. Von einem Aussichtspunkt genieße ich den Blick auf den spektakulären Hängegletscher Glaciar Francés, dessen Eismassen immer wieder mit lautem Donnern ins Tal stürzen. Ich folge den von rostroten Lenga-Wäldern umsäumten Rio Francés und erreiche nach 600 Höhenmetern hinter dem Campamento Británico ein breites Gerölltal. Dann kehre ich um und komme nach insgesamt achtundzwanzig Kilometern in der Dämmerung müde wieder beim Refugio Paine Grande an.

 

Nach ein paar Tagen fahren wir mit unserem RMB-Wohnmobil zum Campingplatz beim Hotel und Refugio Las Torres. Bei wolkenlosem Himmel tauchen die ersten Sonnenstrahlen die Zinnen der Torres in rotes Licht. Dorthin will ich heute wandern. Ich überquere per Hängebrücke den Rio Ascensio und wandere ständig bergan und an einem teils schottrigen Hang weit oberhalb des Flusses entlang runter zum Refugio Chileno. Durch alte, dunkle Lenga-Wälder führt der Pfad ständig hügelauf, hügelab und über einfache Brücken. Später geht es steil am Rande des rostrot und gelb gefärbten Waldes über große Steine und Felsen aufwärts. Nach vier Stunden und insgesamt erklommenen 800 Höhenmetern stehe ich fast allein am Mirador vor einer der größten Natursehenswürdigkeiten Chiles: Den Torres, den drei über 2800 Meter hohen Türmen aus hellem Fels. Senkrecht ragen sie tausend Meter aus dem Talkessel empor, in dem sich ein graugrüner Gletschersee befindet. Diese Kulisse gehört wirklich zu den außergewöhnlichsten in Chile. Nach Rückkehr von meiner Achtzehn-Kilometer-Wanderung stellen wir bei Anbruch der Dunkelheit unser rollendes Zuhause am Mirador über der Laguna Amarga ab. Am nächsten Morgen weht kaum Wind und so spiegeln sich die Torres del Paine in der Lagune, an deren flachen Uferzonen rosa Flamingos stehen. Die aufgehende Sonne zaubert rote und orange Farbe auf die hellen Zinnen. Ein würdiger Abschied vor unserer Weiterreise nach Argentinien.

 

Fortsetzung unter Argentinien 10.