Brasilien 11

 

Bundestaaten Espírito Santo bis Rio Grande do Sul

 

28. September bis 25. Oktober 2016

 

Fortsetzung von Bericht Brasilien 10

 

Die entsprechenden Fotos zu diesem Bericht findet man am Ende des Textes.

 

Im Bundesstaat Espirito Santo (Heiliger Geist) erscheint uns alles etwas sauberer und organisierter als in Bahia. Die Anlagen an den Durchfahrtsstraßen sind gepflegter und wir sehen kaum Müll herumliegen. Die BR 101 Sul führt durch hügelige Landschaft mit angepflanzten Palmen, Agaven und Weiden. Nördlich von Guaraparí erreichen wir Setiba Pina, wo wir direkt auf einen schönen etwa fünfthundert Meter langen Sandstrand zufahren, an dem nur wenige Menschen zu sehen sind. Im Hochsommer ab November soll der Ort hier überfüllt sein. Ein Stück weiter kommen wir zum Platz des Camping Clube do Brasil (CCB), der sich an einem hundert Meter langen, sichelförmig geschwungenen, goldgelben Sandstrand befindet. Hier lässt es sich wirklich aushalten und wir bleiben ein paar Tage. Das zunehmend schlechte Wetter lässt leider die geplante Rollertour in die Berge nicht zu. Dort befindet sich bei der Stadt Santa Leopoldina die Colonia Tirol. In malerischer Berglandschaft inmitten von Urwäldern des Mata Atlantica und vielen Wasserfällen haben sich seit 1857 Einwanderer aus dem Stubaital angesiedelt. Auch die Rollertour zur großen Hafenstadt Vitória fällt leider ins Wasser. In Guarapari holen wir unsere Wäsche ab, deren Reinigung über 50 Euro gekostet hat. Dafür haben sie alles gebügelt und jedes einzelne Teil extra in Plastik eingeschweißt.

 

Später überqueren wir den Rio Itabapoaba und sind nun im Bundesstaat Rio de Janeiro. Vereinzelt sehen wir die steil aufragenden gerundeten Granitfelsen, wie sie auch für die Stadt Rio typisch sind. Bei der Weiterfahrt auf der BR 101 gen Süden stehen bei der Kontrollstelle der RPF (Bundespolizei) wieder einmal hunderte konfiszierte Autos und noch viel mehr Motorräder. In Macaé fehlen mehrere große Kanaldeckel und ich nehme sie gerade noch in der Mitte zwischen die Rädern. Wäre ich mit einem Rad da hinein gefahren, hätte es wohl unser Fahrwerk zerrissen. Bei einer Mercedes-Vertragswerkstatt lassen wir unsere mitgebrachten Bremsbacken am Fahrzeug hinten einbauen. Ohne Probefahrt lassen sie uns nach Zahlung der Rechnung davonziehen. Als ich später die Radmuttern überprüfe, stelle ich fest, dass die Bremse an einer Seite hinten blockiert und heiß gelaufen ist. In Rio de Janeiro lassen wir bei einer anderen – endlich kompetenten Mercedes-Werkstatt - diesen Fehler beheben. Nach einer Probefahrt informiere ich den hilfsbereiten Manager, dass ich erwarte, dass die letzte Chaoten-Werkstatt die Kosten hierfür übernimmt. Ansonsten würde ich die Mercedes-Zentrale in Deutschland von der Unfähigkeit dieser Vertragswerkstatt informieren. Zum Glück erklären sie sich damit einverstanden. Auf der viel befahrenen vierspurigen BR-116 fahren wir in Kurven hoch in die Berge, wo dichte urwüchsige Mata Atlantica das Landschaftsbild bestimmt. Am Straßenrand kaufen wir Ananas und Bananen. Dort füllen wir auch unsere Kanister mit bestem Quellwasser auf.

 

Am Rio Paraíba do Sul entlang überschreiten wir die Grenze zum Bundesstaat Sao Paulo. Ab und zu zieht am Straßenrand ein echter Vagabundo vorbei, einen einfachen Karren schiebend oder nur mit einem Rucksack bepackt. Den chaotischen Verkehr der 20-Millionen-Stadt Sao Paulo umfahren wir problemlos auf einer weitläufigen östlichen Umgehung. Rechts der Straße liegt malerisch der große Stausee Represa Aribainha, der von ursprünglichen grünen Wäldern eingerahmt wird. Wieder einmal fällt uns auf, dass es an den Autobahnen und Überlandstraßen keine Parkplätze gibt, so wie in Europa. So kann man nur an den Auto-Postos eine Pause einlegen. Die BR-116 wird hier als Rodoviária Régis Bittencourt bezeichnet und gilt aufgrund vieler Unfälle angeblich als eine der gefährlichsten Straßen der Welt. Mehrere umgekippte LKW liegen bei abschüssigen Stellen im Straßengraben. Aber wir haben den Eindruck, nicht die Straße ist so gefährlich, sondern die Fahrer sind unfähig.

 

Sehenswert finden wir die dichte Mata Atlantica-Vegetation des Parque Estadual Rio Turbo, bevor wir auf weiter schlechter Straße vorbei an kahlen abgeholzten Hügeln die Grenze zum Bundesstaat Parana überschreiten. Auf der BR-277 verlassen wir die Serra do Mar und fahren nun im Nebel und Regen in weiten Kurven ständig abwärts Richtung Meereshöhe. Die natürliche Vegetation der Mata Atlantica wird unten abgelöst von Bananenplantagen und Weinfeldern. Die Strände hier im Süden sind lang, aber im Nordosten Brasiliens fanden wir sie schöner. Auf der gesamten Strecke von über zwanzig Kilometern nach Pontal do Sul stehen Häuser, Posadas, Hotels, Märkte, Kirchen, Bars, Geschäfte, Werkstätten und Wohnhäuser. Obwohl jetzt keine Saison ist, herrscht viel Verkehr, mit dem wir über die vielen Lombadas hoppeln. In Pontal do Sul übernachten wir auf einem sandigen Parkplatz in Strandnähe. Mit Brasilianern spiele ich am Strand Fußball, während über uns Motor-Paraglider kreisen. Wir spazieren am feinsandigen weißen Strand entlang und sehen auf der anderen Seite der Baia do Paranaguá die nahe Insel Ilha do Mel. Durch diese Meerenge werden wir in ein paar Wochen mit dem Frachtschiff zum Hafen von Paranaguá schippern. Von einer Strandbar können wir gut die vorbeifahrenden Ausflugsschiffe, Motoryachten und Containerschiffe beobachten. Wegen des wieder einmal schlechten Wetters verzichten wir darauf, mit dem Schiff zur eigentlich attraktiven Insel Ilha do Mel überzusetzen. Wir fahren vorbei an der unansehnlichen Ansammlung von hässlichen und stillosen Gebäuden der kleinen Orte, von denen schmale Stichwege zu Balnearios (Badestellen) am Atlantik führen. Mit der Fähre überqueren wir, wie bereits vor zwei Jahren, von Mathinhos den Meeresarm Baia do Guaratuba. Die Baia Guaratuba ist umgeben von Bergen, die noch von natürlicher dichter grüner Mata Atlantica bedeckt sind. Am weißen Strand der Praia de Caieiras übernachten wir neben einigen Fischerbooten und speisen ausgezeichnet Prato Peixe (gebratenen Fisch) und Camaroes (Krabben) im Restaurante San Remo. Direkt daneben steht das Auto einer Familie, aus dessen riesigen Lautsprechern laute Musik dröhnt. Das brauchen die Brasileiros.

 

Auf der Weiterfahrt durch flache Mata Atlantica Landschaft überqueren wir die Grenze zum Bundesstaat Santa Catarina, in dem die Beschilderung endlich besser wird. In Joinville besuchen wir das Museu Sambaqui, wo wir die kleine Ausstellung über das Leben der Sambaquianos (Muschelhäufer) ansehen. Dieser Indianerstamm lebte bereits vor 3000 bis 5000 Jahren hier und hat an verschiedenen Stellen riesige, bis zu zwölf Meter hohe Muschelanhäufungen (Sambaquis) hinterlassen. Wir übernachten neben dem Restaurante von OPA BIER, wo nach Mitternacht ein Autofahrer seinen Spiegel hinten an der Ecke unseres Campers demoliert. Auf dem Gelände von Expoville findet ab heute die Veranstaltung BIERVILLE statt. In der riesigen gut besuchten Messehalle sind etliche Bierstände von OPA-BIER, EISENBAHN-BIER, KOCH-BIER, HEIMAT-BIER aufgebaut und eine Trachtenkapelle spielt deutsche Bierfestlieder. Kinder von deutschen Nachfahren tanzen zu alten Liedern und die Kapelle spielt „Marmor, Stein und Eisen bricht“, „Viva Colonia“ und viele andere deutsche Stimmungslieder, die bei den Brasilianern gut ankommen. Direkt vor den riesigen dröhnenden Lautsprechern tanzen Erwachsene, aber auch kleine Kinder mit dem Risiko, einen Hörschaden zu erleiden.

 

Später übernachten wir im strömenden Regen und Gewitter bei der Tankstelle Brüderthal. In Kurven geht es bergauf durch den Urwald der Florista Atlantica, an dessen Rand unverkennbar die Häuser mitteleuropäischer Einwanderer stehen. Unten im Tal erreichen wir Pomerode, die deutscheste Stadt in Brasilien. Wir hoppeln über die groben Kopfsteinpflasterstraßen der 30.000-Einwohner-Stadt. Bei der Tourist Information bekomme ich von einer im Dirndl gekleideten dunkelhäutigen Brasilianerin alle Auskünfte, sogar etwas auf Deutsch. Als ich „Obrigado“ (Danke) sage, sagt sie „Keine Ursache“. Ich muss schmunzeln. Die Häuser und Grundstücke mit Vorgärten sind gepflegt und die Straßen mit vielen deutschen Namen auffallend sauber. Die Porzellanfabrik Porcelana Schmidt ist in ganz Brasilien bekannt. Es gibt etliche gemütliche Restaurantes. Im Torten-Paradies genießen wir nach Jahren erstmals Schwarzwälder Kirschtorte und anderen Kuchen. Sind wir wirklich noch in Brasilien? Ja, die üppige Vegetation mit Palmen und subtropischen Gewächsen ist eben anders. Wir übernachten beim Parkplatz der Municipal Eventos Halle. Silverio spricht uns an. In seiner Familie wurde immer nur Deutsch gesprochen. Nur einen deutschen Vornamen durfte er während des zweiten Weltkrieges nicht bekommen. Silverio hat sich für die Nutzung des Parkplatzes für Wohnmobile bei der Stadtverwaltung eingesetzt. Er macht mich mit zwei Mitarbeitern des Geländes bekannt. Sie unterhalten sich auch auf Deutsch, wie es vor hundert Jahren in Pommern gesprochen wurde. Abends essen wir im Restaurante Curry-Wurst, natürlich ´ne Currywurst mit Pommes. Schmeckt lecker, wie früher bei Fritze in unserer Stadt. Dazu trinke ich ein süffiges Schornstein Bier aus dem Halbliterkrug. Aus dem Radio erklingt Musik eines Radiosenders von Mecklenburg-Vorpommern. So hören wir mit halbem Ohr auch gleich die Infos über das Wetter und die Verkehrssituation in MeckPomm. Mit unserem Motorroller erkunden wir Pomerode und Umgebung. Die ausgezeichnet renovierte Casa do Imigrante Carl Weege zeigt die Geschichte des Einwanderers Carl Weege aus Regenwalde in Pommern. Auf vielen Fotos sind er, seine Frau und seine Nachfahren zu sehen und Einrichtungsgegenstände sind in den Zimmern ausgestellt. Durch schöne hügelige Landschaft mit Wäldern, Weiden und netten Häusern fahren wir noch weiter bis nach Timbo.

 

Später rollern wir auf der „Rota do Enxaimel“ durch die Außenbezirke von Pomerode. Hier wohnen noch heute fast ausschließlich die Nachfahren deutscher Einwanderer, die vor 150 Jahren aus Pommern kamen. Auf dem Friedhof sind viele deutsche Namen auf den teils verfallenen Gräbern zu finden. Weiter rollern wir durch das malerische Tal an einer Kirche vorbei und sehen immer wieder gepflegte Grundstücke mit recht hübschen Häusern. Wir unterhalten uns mit zwei Männern, die an einem Grundstück stehen. Hier steht auch das Haus Casa Wachholz, das wie viele andere aus Fachwerk und roten Ziegelsteinen gebaut wurde. Die tollen Gartenanlagen sind teilweise so gepflegt, dass wir meinen, die Besitzer seien mit der Nagelschere tätig gewesen. Wir sprechen Frau Gustmann an, die gerade die herrlichen Blumenbeete bearbeitet. Sie sagt, hier in der Gegend sprechen alle Deutsch miteinander. Die anderen Grundstücke könnten allerdings doch gepflegter sein. Es ist erstaunlich, dass die Nachfahren deutscher Einwanderer noch heute so gut die Sprache ihrer Vorfahren beherrschen, wenn auch mit leichtem Akzent des vorletzten Jahrhunderts („Die Nachbarn tun sich nich alle so recht um die Grundsticke kimmern“). Wir hoppeln zurück in die Stadt Pomerode und kehren in der Kneipe der Schornstein-Brauerei zu Wurstbrot und Bier nach dem Reinheitsgebot ein.

 

Ein paar Tage später sind wir in der 300.000-Einwohner-Stadt Blumenau, die 1850 vom Einwanderer Hermann Blumenau mit einer Gruppe aus Pommern am Ufer des Rio Itajaí gegründet wurde. Dort stellen wir unseren Camper auf dem Grundstück von Crista und Lore Feldmann ab, die wir bereits vor zwei Jahren kennengelernt haben. In der Innenstadt erleben wir die traditionelle Oktoberfest-Parade. Tausende von Zuschauern säumen bereits die Straßen, so dass wir nur in hinterster Reihe stehen können. Festwagen mit Namen wie „Schweinewagen“, „Zuckerrohrsaftwagen“, traditionell gekleidete Frauen deutscher Nachfahren, Männer, Kinder und Musikkapellen ziehen durch die Straßen. Sie verbreiten eine Fröhlichkeit wie beim Karneval in Köln. Viele haben volle Schwarz-Rot-Gold-Bierkrüge in der Hand und auch viele Besucher haben Hüte mit Bändchen dieser Farben auf dem Kopf. Auf dem großen PROEB-Festgelände neben der Villa Germanica findet das Oktoberfest von Blumenau statt. Es ist das zweitgrößte Oktoberfest der Welt und nach dem Karneval in Rio de Janeiro die zweitgrößte Veranstaltung in Brasilien. Abends steht eine hundert Meter lange Menschenschlange der Ticketbesitzer vor dem Eingangstor und wartet geduldig auf Einlass. Etwa ein Drittel der fast ausschließlich jungen Besucher haben eine Art Lederhosen, karierte Hemden bzw. Dirndl an. Sie sind bester Laune und feiern bis in die frühen Morgenstunden dicht gedrängt in den überfüllten Festhallen. Sonntags ist der Eintritt tagsüber frei und viele Familien, ältere und jüngere Leute beleben bereits die Gassen an den im Fachwerkstil gebauten Häusern mit Restaurants und Geschäften. Mehrere Festhallen sind schon gefüllt und nett gestaltet mit Blau-Weißer Deckendekoration, Holzbänken und Holztischen. In allen Hallen spielen Kapellen deutsche und österreichische Musik. Siebzig Prozent der Musik muss hier beim Oktoberfest deutsches Liedgut sein. Viele tanzen vor den großen Bühnen, von denen „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, „Anton aus Tirol“, „Viva Colonia“, „In München seht ein Hofbräuhaus“ und viele andere Lieder erklingen. Zwischendurch hören wir aber auch brasilianische Stimmungsmusik. Und die Brasilianer sind ausgelassen, genießen die besondere Stimmung beim Oktoberfest in Blumenau.

 

Auf der Weiterfahrt leuchten am Armaturenbrett alle Lampen auf und es lässt sich kein Gang mehr einschalten. So rollen wir gerade noch auf einen breiten Seitenstreifen. Wir haben Glück, denn genau auf der anderen Straßenseite befindet sich eine Autowerkstatt. Hinter uns eine zweihundert Meter lange rote Ölspur: Ausgelaufenes Getriebeöl. Der Keilriemen ist gerissen und hat dabei den von einer Metallspirale ummantelten Schlauch für das Getriebeöl ebenfalls zerrissen. Der Schaden wird behoben, doch nach einigen Kilometern wird der Kunststoffschutz vom Ventilator teilweise zerstört, weil er bei der Reparatur nicht wieder richtig befestigt wurde. Die Mechaniker in Südamerika schaffen es wirklich, den nächsten Schaden herbeizuführen. Die Liste der Unfähigen wird immer länger. Im strömenden Regen fallen später kurz hintereinander beide Scheibenwischer aus. Der Mechaniker der „Automotives Electrica“-Werkstatt holt für 100 Reales anscheinend alte Scheibenwischer-Halterungen vom Schottplatz, die überhaupt nicht passen, meint aber, das sei in Ordnung. Das sind Experten! Ich lehne ab und nehme daraufhin die Reparatur an unseren Scheibenwischern lieber selbst vor.

 

Vor dem kleinen Fischerort Governador Celso Ramos sitzen wir am Strand auf unseren Campingstühlen und blicken auf das Meer und die umgebenden dicht bewachsenen grünen Berge. Nach ein paar Tagen erreichen wir den Touristenort Garopaba. Dort treffen wir die Globetrotter Angelika und Peter mit ihrem Expeditionsmobil, die in ein paar Wochen mit uns ab Montevideo die Heimfahrt mit der GRANDE BRASIL nach Hamburg antreten werden. Auch Reto aus der Schweiz mit seinem Mercedes-Camper treffen wir hier. Vom Campingplatz Lagomar haben wir oberhalb des Strandes einen schönen Blick auf die Bucht von Garopaba, in der zeitweise Delfine entlang ziehen und Fischerboote vor Anker liegen. Über die mit üppigem Grün und Orchideen ins Meer ragende Felsnase wandern wir zur nächsten kilometerlangen einsamen Bucht. Hinter den Dünen stehen an den mit Mata Atlantica bedeckten Bergen vereinzelte kleine Bauernhäuser. Fast am Ende der Bucht fließt ein Fluss mit glasklarem Wasser ins Meer. Es ist wirklich idyllisch hier, nur vier Kilometer vom Touristenort Garopaba entfernt.

 

Wir erreichen später den Bundesstaat Rio Grande do Sul und Porto Alegre, wo wir auf einer langen Brücke das Delta des Rio Jaqui überqueren. Von oben können wir das Ausmaß der aktuellen Überschwemmungen nur erahnen, die wieder einmal die Ärmsten getroffen haben. Viele einfache Holzhütten stehen unter Wasser, ebenso die Lehmstraßen. Autos sind fast bis zum Dach vom lehmbraunen Wasser bedeckt. Männer laufen neben einem kleinen Boot auf der überschwemmten Straße hin und her, sie wirken verzweifelt. Wir fahren auf der BR-116 Richtung Pelotas, an der vor zwei Jahren mit hunderten großen Baufahrzeugen für zwei weitere Fahrspuren kräftig gebaut wurde. Die müsste jetzt doch wohl in großen Teilen fertig sein. Doch weit gefehlt! Teils sehen wir nur freigeräumten Untergrund aus Erde, teils mal eine erste dünne Asphaltdecke. Und kein einziges Baufahrzeug. Teilweise sind Brücken schon ganz fertig, aber die Anschlüsse fehlen. Die Kanalisation ist manchmal fertig und führt ins Nichts. Oft wächst schon wieder Gras aus der teils weggespülten Lehmfahrbahn, manchmal sogar schon aus der Teerdecke. Es stehen sogar schon Straßenlaternen an der Straße im Nirgendwo. Dafür zahlen wir Mautgebühr für diese Landstraße, und sehen nebenan die unvollendete zweite Straßenhälfte. Eine ungeheure Fehlplanung. Auf dieser Straße von fast zweihundert Kilometern ist immer noch kein Baustellenfahrzeug zu sehen. Die Arbeit wurde wohl einfach abgebrochen. Aus Geldmangel? Wenn man wenigstens Teilabschnitte fertiggestellt hätte. Aber hier hatte man wohl nur Großes vor.

 

In der Pampa Gaucho fahren wir durch den hässlichen Ort Arroio Grande und weiter Richtung Grenze. Fünf Kilometer vor dem Grenzort Jaguaráo übernachten wir im Matsch neben einer Tankstelle. Zwei ärmliche Gestalten wühlen bei Sturm und Nieselregen im Müll. Ich schenke ihnen eine Regenjacke und zwei Dosen Bier. Zum Glück stehen wir direkt neben einem hohen LKW, der uns vor dem kräftigen Sturm Schutz gibt.

 

Über vier Wochen lang und auf einer Strecke von fast dreitausend Kilometern begleiten uns nun schon überwiegend Wolken, Regen und Wind im Osten Brasiliens.

Am nächsten Tag überqueren wir über die Brücke den Rio Jaguaráo und damit die Grenze von Brasilien nach Uruguay.

 

Fortsetzung siehe Bericht Uruguay 2